«Man muss der Oberflächlichkeit entgegentreten»
Melodiesinfonie ist einer der bekanntesten Vertretern der Schweizer Beat-Szene. Mit seinem Label Boyoom Connective mischt er seit Jahren die Szene auf.
Als wir das Gespräch führten, war sein zweites Album noch nicht fertig und sein zweites Pseudonym Delakeyz war noch im Winterschlaf. Inzwischen spielt er wieder aktiv seine Beats. Er war erst gerade auf einer kleinen Tour in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Dabei lässt er die Leute auch zu seinen housigen Delakeyz-Stücken tanzen.
Beim gemeinsamen Abendessen haben wir mit ihm über das Leben, Musik, Delakeyz und vieles mehr gesprochen. Er ist nicht bloss erfolgreich, nein, er ist auch äusserst produktiv und ein sehr sympathischer Gesprächspartner.
Du gehörst inzwischen zu den bekanntesten Vertretern der Schweizer Beatszene und man kann sagen, dass dein Name auch im Ausland ein Begriff ist. Schön hast du neben all deinen Verpflichtungen für uns Zeit gefunden!
Melo: Schön euch zu sehen, ich habe mir gerne Zeit für dieses Interview genommen!
Lass uns doch gleich mit der ersten Frage beginnen. Wir haben deine Karriere und deine bisherigen Veröffentlichungen, seit deinen Anfängen verfolgt und man kann ziemlich deutlich eine Entwicklung erkennen. Da drängt sich die Frage auf: Was hat sich aus deiner Sicht in deiner Musik verändert im Vergleich zu früher?
Melo: Also was sich sicher sehr verändert hat, sind meine Skills. Am Anfang habe ich auch mehrheitlich gesampelt, hauptsächlich Jazz Samples und Drums, die mir gefallen haben. Man kann sagen, dass ich mich selbst eingeschränkt habe. Ich war noch nicht so breit gefächert. Erst als ich angefangen habe, selbst Keys zu spielen, egal ob Bassline oder Melodien, haben meine Tracks mehr Tiefe bekommen. Alles wurde viel dynamischer und breiter. Dadurch entstanden auch viel mehr Möglichkeiten, was schlussendlich dazu führte, dass die Musik für mich viel interessanter wurde.
Zum Beispiel spiele ich seit einem Jahr Gitarre. Jetzt kann ich, ein für mich ganz neues Instrument, als Element einbauen; für mich ist so ein neues Spektrum aufgegangen. Das führt dazu, das sich meine Beats in eine ganz neue Richtung bewegen. Man kann sagen: Mit jedem Instrument, das ich lerne, oder mit einbringe, erweitert sich das Spektrum ungemein.
Auf jeden Fall hat sich die Art und Weise wie ich neue Stücke angehe verändert. Früher habe ich hauptsächlich mit Loops gearbeitet. Jetzt versuche ich Lieder, mit Strukturen zu komponieren. Klar, ich arbeite noch immer mit Loops, jedoch lege ich den Fokus verstärkt darauf, dass ein Lied unterschiedliche Abschnitte hat, damit es wie zu einer Art Reise wird.
Damit es klare Up- und Downteile gibt..
Melo: Ja genau. Das gibt es bei vielen meiner Liedern. Erst einen ruhigen Teil, danach einen Abschnitt mit mehr Dynamik, wo auch mal etwas ganz Unerwartetes passieren kann. Mit Dynamik zu spielen macht unglaublich viel Spass!
Also hat sich das verstärkt im Vergleich zum Anfang?
Melo: Ja genau. Vor allem das. Natürlich veränderte sich durch den ganzen Lernprozess auch meine Produktionsweise. Ich produziere mit Cubase, und als ich am Anfang mit dem Programm angefangen habe, hatte ich noch nicht wirklich Ahnung wie es funktioniert. Inzwischen verstehe ich, was ich machen muss, oder wie ich etwas aufnehmen muss. Einfach gesagt: Ich habe eine klare Vorstellung, wie ich mit dem Programm und den Sounds arbeiten muss, um die Musik in meinem Kopf umzusetzen. Die Fähigkeit so mit dem Programm zu arbeiten macht extrem viel aus. Kreativität ist das Eine, aber man braucht trotzdem noch das Know-how, wie man mit den Geräten umzugehen hat.. «Learning by Doing».
Ein weiterer Punkt ist die Offenheit gegenüber der Musik. Ich war zwar schon immer offen für jede Art von Musik. Über die Jahre hat sich das aber zunehmend verstärkt, sodass ich mich heute von einem breiteren Spektrum an Musik inspirieren lasse.
Betrifft diese Offenheit hauptsächlich die Musik, die du hörst, oder diejenige du selbst erschaffst?
Melo: Bei der Musik, die ich höre und auch bei meiner eigenen. Natürlich, ich bewege mich innerhalb der Beat Musik. Darin versuche ich aber, neue Wege zu gehen. Zum Beispiel experimentiere ich mit anderen Geschwindigkeiten und wage es, neue Elemente in meine Stücke einfliessen zu lassen.
Gibt es dazu vielleicht ein Beispiel, wo man diese Experimentierfreudigkeit gut erkennt?
Melo: Ich arbeite gerade an einem Stück; es ist leider noch nicht fertig. Es geht in Richtung G-Funk, ist etwas schneller, sehr funky mit harten Basslines. Es ist mal etwas total anderes, was mir deswegen so gut gefällt und sehr viel Spass macht.
Mir ist auch aufgefallen, dass die einzelnen Spuren und Elemente, in deinen heutigen Produktionen viel mehr ineinander verschmelzen. Bei deinen ersten Produktionen stand alles mehr für sich alleine.
Melo: Das stimmt. Auch wird heute alles Detailreicher. Das hängt auch damit zusammen, dass ich begonnen habe Perkussionsinstrumente zu kaufen. Nimmt man beispielsweise einen Shaker selbst auf, macht das viel aus. Als Schlagzeuger, der ich ja eigentlich bin, achte ich speziell darauf, vermehrt rhythmische Liveelemente in die Stücke einzubringen. Zu Beginn habe ich mich das noch nicht getraut, oder ich kam gar nicht auf die Idee.
Sobald Liveelemente vorhanden sind, erzeugt das gleich ganz andere Vibes und viel mehr Energie. So zumindest meine Wahrnehmung als Zuhörer.
Melo: Es bringt einfach das gewisse Etwas.
Wir wechseln mal etwas die Richtung. Erzähl uns kurz von einer Platte, die dir gerade in den Sinn kommt?
Melo: Eine Platte, die mir spontan in den Sinn kommt, ist das neuste Mo Kolours Album. Darauf habe ich mich total gefreut. Er ist für mich eine grosse Inspiration. Seine Musik geht Richtung Beats, beinhaltet aber auch Züge von House und lebt total von der Perkussion und der Rhythmik.
Seit du mir von Mo Kolours erzählt hast, stehen auch bereits zwei seiner Platten bei mir zu Hause. Nun eine etwas persönlichere Frage: Wenn du über etwas schreiben könntest, dass dich stört oder beschäftigt, worüber würdest du schreiben?
Melo: Hmm... Etwas, dass mich wirklich beschäftigt und auch stört, ist die allgemein vorherrschende Oberflächlichkeit, auf alles, nicht bloss auf die Musik bezogen. Sie verhindert die Weitsicht und auch die nötige Offenheit, um etwas Neuem oder jemandem eine Chance zu geben.
Oberflächlich auf die Musik bezogen heisst, dass man sich beispielsweise nicht mit der Musik auseinandersetzt. Aber auch oberflächlich im Sinn von, dass man immer alles aufs äusserliche reduziert. Wir Menschen ordnen aber leider immer viel zu schnell und selektiv ein.
Als ich in Kambodscha war, habe ich mit Menschen in einer Community zusammengelebt. Wir hätten unterschiedlicher nicht sein können - es gab keine Gemeinsamkeiten untereinander. Das war unglaublich interessant, weil ich diese Personen auf einer Ebene kennenlernen und schätzen lernen konnte, ohne, dass eine gemeinsame Grundlage vorhanden war. Das hat mir die Augen geöffnet und mir wurde bewusst: Es geht um den Menschen und nicht darum jemanden zu verurteilen.
Das ist generell das Plädoyer an jeden, auch an mich selbst. Ich bin auch kein Gandhi. Viel zu oft scheitere ich selbst daran. Aber, ich versuche mich darauf zu achten und das Bewusstsein dafür zu haben, dass man nicht alleine auf der Welt ist.
Vielleicht auch, dass man sich selbst mal an der Nase nimmt?
Melo: Ja richtig. Schlussendlich hat niemand das Recht ein Plädoyer für alle zu schreiben. Jeder hat seine Schwachstellen. Meiner Meinung nach muss man sich bewusst damit auseinandersetzen, um der Oberflächlichkeit etwas entgegenzutreten.
Apropos Kambodscha Reise. Wie lange warst du weg?
Melo: Ich war 6 Monate in Kambodscha.
Du hast schon einiges angedeutet.. trotzdem, wie war es?
Melo: Kambodscha war für mich eine riesige Bereicherung. Während dieser Zeit machte ich ein bewusstes Musikfasten, das heisst, ich habe in dieser Zeit keine Musik gehört. Musik habe ich erst gar nicht mitgenommen. Zum Musikfasten habe ich zusätzlich eine Auszeit von den Social Networks genommen. Dieser Entschluss machte ich, da mir vor meiner Reise bewusst wurde, dass mein Verhältnis zu Musik sehr gestört war. Man kann sagen, ich hatte so eine Abhängigkeitsbeziehung mit der Musik. Klar ich liebe die Musik, doch es wurde zu einer Sucht. Ich musste immer und überall Musik hören.
Dieses halbe Jahr ohne Musik hat mir nun gezeigt, dass Musik eine unglaubliche Bereicherung ist, aber ich mich nicht dadurch definieren muss. Ich kann die Musik nun wieder geniessen; sie ist kein Konsummittel mehr. Deshalb höre ich beispielsweise keine Musik mehr unterwegs. Ich habe meine bestimmten Zeiten, in denen ich mich bewusst auf die Musik einlasse. Und sie damit auch bewusster konsumiere.
Was hast du in Kambodscha gemacht? Warst du als Backpacker unterwegs?
Melo: Nein, ich habe keine Ferien gemacht, schon gar nicht als Backpacker. Ich habe dort mit Kindern in den Slums gearbeitet und durfte so viele Erfahrungen mit den Menschen vor Ort sammeln. In dieser Zeit habe ich mit den Leuten zusammengelebt und war nicht einfach als Traveler unterwegs; auch wenn das gerade sehr angesagt ist. Traveln, das gerade so Hip zelebriert wird, ist an sich auch wieder total oberflächlich. Man lernt auf diesem Weg nie die Kultur und die Menschen richtig kennen. Man muss an einem Ort leben, denn nur so kann man sowohl die guten, wie auch negativen Seiten erfahren. Diese Reise hat meinen Horizont total erweitert.
Mit erweitertem Horizont geht das kreative Denken bestimmt auch ganz neue Wege.. Aber bevor wir nochmals auf deine Musik zusprechen kommen, eine andere Frage: Wenn du dir ein Festival zusammenstellen könntest, welche 3 Acts würden, beziehungsweise müssen da spielen?
Melo: Das ist eine schwierige Frage bei der grossen Auswahl. Ich würde sicher buchen.. Mo Kolours, weil ich ihn Live super finde (haut auf den Tisch), dann Marvin Gay und Herbie Hancock. Aber am besten mache ich ein Festivalsommer, dann könnte zumindest ein gewisser Teil aller Musiker, die ich mag, spielen.
Wenn man dich Live sieht, bekommt man den Eindruck, du fühlst dich sehr wohl auf der Bühne. Wie sieht für dich der ideale Ort, aus an dem du am liebsten spielen würdest?
Melo: Am liebsten Spiele ich an intimen Anlässen, wo um die 100 Leute Platz haben. Wohnzimmeratmosphäre mag ich ganz gerne. Eigentlich allgemein Orte, an denen man dem Publikum nahe ist. Es ist zwar sehr motivierend vor vielen Menschen zu spielen, aber am meisten Spass macht es, wenn du eine kleine Crowd vor dir hast, bei dem ein Austausch zwischen mir und den Hörern entsteht.
Schön ist es vor allem im Sommer. Draussen bei einem Bächlein oder einem See, auf einer Wiese zwischen Bäumen und daneben ein Hänsel und Gretel Lebkuchenhaus.. - ja so was würde mir gefallen.
Eine geradezu kitschige Vorstellung. Wie wichtig ist dir bei deinen Auftritten der Fokus auf die Musik? Stört es dich zum Beispiel, wenn du spielst und alle an der Bar herumstehen und mit sich selbst beschäftigt sind?
Melo: Bei diesem Thema bin ich sehr ehrlich. Es ist mir wichtig, oder sagen wir ich schätze das ungemein, wenn sich die Leute zu mir richten und sich bewusst auf das was passiert einlassen. Meiner Meinung nach ist meine Musik sehr komplex und es ist jedes Mal sehr viel Information. Ich geniesse nichts mehr, wenn die Leute da sind und zuhören, im Takt nicken und ihre Aufmerksamkeit mir und meiner Musik schenken.
Anders kann auch gar keine Verbindung entstehen..
Melo: Ja genau.
Wie ist es, wenn du in Zürich spielst? Gibt es in Zürich, bezüglich der Musik, etwas, das dir fehlt oder wo du findest, könnte man besser machen?
Melo: Für mich ist unsere Konzertkultur ziemlich am Arsch. In letzter Zeit war ich viel auf Konzerten und mir fällt einfach auf, dass viele Leute dort hingehen um zu Socialisen. Meistens spielt ein toller Künstler und die Hälfte ist draussen und raucht. Die andere Hälfte ist sonst wo und schwatzt. Es geht bloss noch um den «Coolen-Event» aber nicht wirklich um die Musik. Das ist etwas, dass ich nicht verstehe. Wenn ich an ein Konzert gehe, bin ich dort wegen der Musik und lasse mich darauf ein.
Und kann man das verbessern?
Melo: Hmm. Das können nur die Leute selbst. Vielleicht muss man auch mehr sensibilisieren, ich weiss es nicht.
Boyoom Connectiv. Ihr habt einen extrem hohen Musikoutput speziell auch von dir und Maloon The Boom. Pusht ihr euch gegenseidig oder habt ihr eine geheime Inspirationsquelle? Kannst du uns verraten, woher das kommt, dass man den Eindruck bekommt, dass ihr unglaublich produktiv seid?
Melo: Also Maloon The Boom und ich, wir pushen uns ziemlich. Er ist momentan unglaublich produktiv. Bei ihm laufen gerade 3-4 Projekte gleichzeitig, die ebenfalls bald auf Boyoom herauskommen. Mittlerweile konnten wir auch sehr viele neue junge Künstler finden, die bei uns Musik veröffentlichten oder noch veröffentlichen werden. Es gab zwar während meiner Abwesenheit eine kleine Pause, aber nun kommen wieder regelmässig Releases heraus auf die ich mich sehr freue!
Boyoom steht ja dafür, junge Künstler zu pushen und ihnen eine Plattform zu geben. In dem Sinn ist es auch Ziel, uns gegenseitig zu motivieren. Anscheinend gelingt dies ziemlich gut.
Wie bist du eigentlich dazu gekommen, Beats zu produzieren?
Melo: Die Frage aller Fragen! Also alles hat damit begonnen, als ich mit 12 Jahren mit dem Schlagzeug spielen angefangen habe. Damals wollte ich noch der beste Punkschlagzeuger der Welt werden. An diesem Ziel bin ich gescheitert.. also eigentlich hat es sich einfach verlagert. ..Also eigentlich kann ich noch immer der beste Punkschlagzeuger auf der Welt werden.. (lacht) Spass beiseite.
Mit 14 oder 15 habe ich begonnen richtig Hip-Hop zu hören und mit 16 habe ich J Dilla kennengelernt. Dann habe ich auf einem schäbigen Keyboard, stell dir ein total räudiges Keyboard mit richtigen scheiss Sounds vor, begonnen diese versetzten Grooves, welche J Dilla als einer der Ersten gemacht hat, von der Platte nachzuspielen. Ich habe einfach versucht diese geilen Vibes, die seine Musik ausmachen, auf diesem kack Keyboard nachzuspielen. Tagelang war ich nur damit beschäftigt. Als ich das dann in den Fingern hatte, wurde mir klar, ich will das machen. Aber erst als ich Jazzo kennengelernt hatte, lernte ich auch, wie ich das umsetzen konnte. Er hat mir gezeigt, wie ich mit Cubase Musik machen konnte. Es war eine Erleuchtung für mich.
Wir haben dann gemeinsam als Rap Duo begonnen. Ich hatte eine kurze Rap Karriere, bis wir die Beatmusik für uns entdeckten. Dann haben wir unseren ersten Instrumental Beat produziert. Das führte dazu, dass kurze Zeit später unsere erste EP auf dem Lausanner Label Feelin Music veröffentlicht wurde. Ein halbes Jahr später kam dann unser erstes Album, Astro Funk und Weltfrieden, was nach wie vor etwas vom besten ist, dass ich je gemacht habe. - Müsste eigentlich auch mal noch auf Platte raus kommen.
Was man halt bei mir sagen muss, ich wurde zum Musikhörer erzogen. Mein Vater hatte schon immer High End Stereoanlagen und eine riesige Plattensammlung gehabt. So bin ich auch mit Jazz aufgewachsen. Jazz hat mich sehr geprägt. In meiner Rebellenphase habe ich Punk gehört. Dann aber wieder zum Jazz zurückgefunden.
Titelbild: Melodiesinfonie by Dylan Moore.