«Manchmal hyperkorrekt, manchmal ein kleines Arschloch»
Belia Winnewisser verbindet auf ihrem ersten Soloalbum «Radikale Akzeptanz» zwei Klangwelten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Produzentin über Synthesen, Begrifflichkeiten und Flugzeugabstürze.
Sie ist keine, die sich dem Alltagstrott hingibt. Die 29-jährige Belia Winnewisser liebt und lebt Veränderungen. Dabei ist Musik ihr ständiger Begleiter. Egal ob als Sängerin im Chor oder beim Studium für Musik- und Medienkunst; waren Musikprojekte doch immer das, was Winnewisser die Luft zum Atmen gab. Als Masterarbeit geplant, hat die Luzernerin vergangenen Herbst nun ihre erste Soloplatte veröffentlicht.
Mitte November war die Plattentaufe in der Kegelbahn Luzern, wie war das für dich?
Belia Winnewisser: Ja, also das Album war ja schon seit dem 19. Oktober draussen. Danach wollten wir noch etwas Offizielles machen, allerdings planten wir erst eine Vernissage. Ein guter Freund von mir fertigte die Cover aus gebrochenen Gipsplatten und so entstand ein richtiges Kunstwerk. Leider fanden wir keinen geeigneten Kunstraum und entschieden uns schlussendlich doch für den Klub Kegelbahn als Austragungsort. Die Platten konnte man dann vor dem Klub aus dem Kofferraum eines Autos kaufen.
Ist das Album denn so ausgelegt, dass du es im Klub spielen kannst?
Belia Winnewisser: Ich denke, meine Musik ist sehr wandelbar und hängt stark vom Kontext ab. An der Plattentaufe herrschte eher Konzertstimmung. Ich habe aber bereits Sets in Clubs gespielt und das funktionierte wunderbar. Je nach Venue und der Atmosphäre wirkt die Platte anders. Aber klar, es ist auch schon mal ein Auftritt in die Hose gegangen, weil halt nicht alle meiner Tracks tanzbar sind.
Du hattest in der Vergangenheit bei vielen Projekten mitgewirkt: a=f/m, Evje, Silver Firs, um nur einige zu nennen. Jetzt kommst du mit einem Soloprojekt um die Ecke. Was hat dich dazu bewogen, alleine eine Platte zu produzieren?
Belia Winnewisser: Mit 22 habe ich unter dem Pseudonym palus somnii schon einmal alleine Musik gemacht. Die Mini-EP gibt’s, glaub ich noch immer auf Soundcloud. Allerdings habe ich zu dieser Zeit nicht wirklich was unternommen, um die Musik unter die Leute zu bringen. Danach kam die Zeit mit Rolf und a=f/m und ich war irgendwie ständig bei diversen Projekten involviert. Dann 2016 ging ich für mein Erasmus nach Bergen (Norwegen) und da gab es nur mein Computer und ich. Das war der Startschuss.
Das war auch die Zeit, in der du ein Split-Tape zusammen mit L.Zylberberg auf Präsens Editionen herausgebracht hast, oder?
Belia Winnewisser: Genau. Ich hatte in der Anfangszeit in Bergen drei Solo-Tracks produziert. Dann hatte mich Remo von den Präsens Editionen angefragt und er fand sie ganz gut. So kam die Kollaboration mit Leo (Zylberberg) zustande. Ich war ehrlich gesagt etwas überrascht, dass sich überhaupt jemand für meine Musik interessierte.
Und dann ging’s gleich mit deiner ersten Soloplatte los?
Belia Winnewisser: Ja, so ungefähr. Als ich von Norwegen zurück in die Schweiz kam, habe ich mich intensiv mit Klangsynthesen auseinandergesetzt und wusste dann, dass ich ein Album produzieren möchte. Danach hab’ ich’s einfach gemacht. Dabei mache ich Musik hauptsächlich für mich. Umso schöner ist die Erfahrung, dass etwas, das man für nichts und niemanden macht, eine gute Rückmeldung erhält.
Dein erstes Soloprojekt ist auch dein erstes Projekt, bei dem deine Stimme nur eine kleine Nebenrolle erhielt. Wieso?
Belia Winnewisser: In früheren Projekten war meine Stimme immer sehr präsent. Bei meinem jetzigen Album habe ich mich bewusst dafür entschieden, auf Text zu verzichten und den Gesang in den Hintergrund zu stellen respektive wegzulassen. Wohl auch, um etwas von der Pop-Schiene wegzukommen.
Es sollte also auf keinen Fall «Pop» werden?
Belia Winnewisser: Jein. In meinem Studium hatte ich hauptsächlich mit abstrakten Kompositionen zu tun, während ich in meiner Freizeit diese Pop-Projekte, wie a=f/m am Laufen hatte. Pop war für mich der Ausgleich zu dem verrückten Gekrose im Studium. Dabei fand ich es immer etwas schade, diese zwei Welten trennen zu müssen. Mit Radikale Akzeptanz versuche ich, sie zu vereinen. So kommt’s, dass je nachdem, welcher Zugang jemand zur Musik hat, die Platte als poppiger oder experimenteller wahrgenommen wird.
Aus Pop und Abstraktem wird also...?
Belia Winnewisser: Den Begriff «New Age» finde ich ganz passend. Der Begriff gefällt mir irgendwie und ist breit gefächert. Ich lege mich allgemein nicht so gerne fest. Das sieht man auch an meinem Kleidungsstil: mal schmuddelig, mal gepflegt. So bin ich einfach. Manchmal hyperkorrekt, manchmal ein kleines Arschloch.
Selbstkritik scheint dir wichtig zu sein.
Belia Winnewisser: Klar, man sollte sich doch immer hinterfragen. Die ständige Auseinandersetzung mit sich selbst ist doch wichtig! Davon handelt übrigens auch der Titel meines Albums.
Ich bin ganz Ohr.
Belia Winnewisser: Long story short. Mein Vater zeigte mir mal einen Text mit dem Titel Radikale Akzeptanz. Darin ging es um Flugzeuge, die in den 50er Jahren aus damals noch unerklärlichen Gründen immer wieder abstürzten. Erkenntnis brachte erst eine Blackbox eines Wissenschaftlers: Die Fenster waren damals noch nicht oval, sondern viereckig und hielten deshalb dem Luftdruck nicht stand, weshalb es zu einem Überdruck kam.
Im Text ging es darum, dass doch jeder Mensch eine solche Blackbox in sich drin bräuchte, um die eigenen Probleme besser messen zu können. Und entweder man setzt sich dann aktiv mit diesen auseinander oder man akzeptiert sie. Hauptsache man geht Problemen nicht aus dem Weg. Ich finde das ein sehr guter Gedanke.
Meine Google-Recherchen haben ergeben, dass unter dem Begriff „Radikale Akzeptanz“ auch eine Therapieform in der Psychologie verstanden wird.
Belia Winnewisser: Das stimmt. Davon möchte ich mich allerdings distanzieren. Ich finde, es gibt auch Dinge, die nicht akzeptiert werden sollten. Aber ich fand die beiden Wörter «radikal» und «Akzeptanz» so toll in dieser Kombination. Beide sind stark in ihrer Aussagekraft und widersprechen sich auf eine Weise.
«Radikal» wird in unserer Gesellschaft eher negativ konnotiert, dabei darf der Begriff – je nach Kontext – durchaus auch als positiv wahrgenommen werden. Mit der «Akzeptanz» verhält es sich umgekehrt, dabei kann «akzeptieren» ja gleichzeitig auch bedeuten, dass man resigniert.
Ich hoffe, du resignierst nach deinem ersten Soloprojekt noch nicht, sondern machst noch ein wenig weiter?
Belia Winnewisser: Ja, ich habe schon geplant, meine Solo-Tätigkeit noch etwas fortzusetzen – was aber nicht heisst, dass ich ganz auf andere Projekte verzichten werde. Anfang des neuen Jahres sind aber erst einmal einige Solo-Auftritte meinerseits geplant. Unter anderem auch im Rahmen der Präsens Editionen in London. Ausserdem habe ich jetzt dann wieder etwas mehr Zeit, mich einer neuen Feldforschung zu widmen.
Beitragsbild: Belia Winnewisser by Lendita Kashtanjeva