Zürichs ungehorsamstes Radio feiert
Radio LoRa gibt es schon lange – auf legale Art senden sie aber «erst» seit 35 Jahren. Dieses Jubiläum feiern sie mit einer Ausstellung, die momentan auf dem Areal der Roten Fabrik stattfindet. Die Zeit hat das Radio aber alles andere als folgsam gemacht – im Gegenteil.
Homepage Radio LoRa. In Grossbuchstaben wird angekündigt: «Sondersendetag am 10. Dezember, Tag der Menschenreche». Kopfhörer rein und per Mausklick zum Live-Stream. Ein Mann redet - in arabischer Sprache. Es folgt keine Übersetzung, wie man es von anderen Radiosendern gewohnt ist. Unter «Programm» steht der Name der momentanen Sendung: «Stimme des Sudan». Weiter folgt auf der Timeline «Tamil Radio» und am Abend «Offener Politkanal: Rote Welle».
LoRa steht für «Lokalradio», sendet aus Zürich und feiert dieses Jahr 35-jähriges Bestehen. Ihr Leitmotiv: «Unabhängig, widerständig und einzigartig seit 1983». Die kämpferische Haltung geht zurück auf die Opernhauskrawalle im Jahr 1981, als LoRa noch ein Piratensender war. «Der Anfang von Radio LoRa ist Ausdruck der politischen Bewegung in Zürich», sagt Felipe Polanía, Projektleiter bei LoRa, im persönlichen Interview.
Andere Stimmen, andere Sprachen
Seit dem 1. November 1983 sendet das Radio legal und versucht bis heute, eine reiche Sprachen- und Stimmenvielfalt zu bieten. So etwa mit «Die Hälfte des Äthers», eine Sendung und gleichzeitig eine Redaktion innerhalb von LoRa. Sie machen das gesamte Montagsprogramm, in dem explizit Frauen über Frauen reden. «Die Hälfte des Äthers» ist auch eine Art interne Anlaufstelle für Themen wie Sexismus im Programm und im Haus.
Das gesamte Programm von LoRa wird in rund 20 Sprachen gesendet - mehrheitlich von MigrantInnen. «Wir hatten von Anfang an fixe Sendeplätze auf Türkisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch», sagt Felipe. Weshalb andere geläufige Sprachen wie Englisch und Französisch fehlen, erklärt der Projektleiter damit, dass Radio LoRa aus einer Jugendbewegung entstand – mit Kindern von SessionsarbeiterInnen. Diese kamen mehrheitlich aus den südlichen Ländern Europas. Felipe ergänzt: «Radio LoRa ist eine Geschichte von unten, die sich aufgebaut hat.»
Antrieb durch Freiwillige
Das Radio ist eng mit migrantischen Communities in Zürich verbunden. So fand auch Felipe seinen Zugang zum Sender. Er ist in Kolumbien geboren und als politischer Flüchtling in die Schweiz gekommen. Seit 19 Jahren arbeitet er für den Sender – die ersten 16 davon unentgeltlich.
Rund 300 SendungsmacherInnen arbeiten ehrenamtlich bei LoRa. «Wir sind sehr von der Freiwilligenarbeit abhängig», sagt Felipe. Das Radio ist nicht gewinnorientiert, erhält aber Radiogebühren. Diese Subventionen decken bis zu 80% der Programmproduktionen. Alles, was nicht mit dem Programm zu tun hat, wie etwa Möbel oder eine Kaffeemaschine, ist nicht gedeckt. Da muss LoRa selber Geld auftreiben – oder eben freiwillige MitarbeiterInnen.
«Wir brauchen andere Werte in unserer Gesellschaft: Solidarität ist wichtiger als Mitleid, Menschen sind wichtiger als Banken»
Unterstützt wird LoRa auch von seinen Mitgliedern. Diese würden jedoch zunehmend schwinden, sagt Felipe. In den letzten zehn Jahren sei die Mitgliederanzahl von 1000 Personen auf 600 gesunken. Der Grund sieht Felipe bei dem riesigen Angebot, wie sich Leute sozial engagieren können. «Früher glaubte man wirklich, dass das Radio etwas bewirken kann», sagt der Kolumbianer und fährt sich nachdenklich durch sein halblanges Haar. Heute gebe es unzählige Möglichkeiten, zu spenden – sei es für neue Wasserbrunnen in Afrika oder Schulen in Indien. Ohne diese Projekte zu diskreditieren fügt er an: «Es ist quasi zur Industrie geworden». Für ein lokales Radio bleibt da nicht mehr viel übrig.
Ort für Ungehörte
Auf die Frage, weshalb es ein Radio wie LoRa braucht, grinst Felipe und reibt sich die Hände. Zum einen sei LoRa ein Ventil, erklärt er. Menschen, die unter Sexismus oder Gentrifizierung leiden, die schikaniert werden wegen ihrer Sprache, erhalten einen Ort, wo sie gehört werden. Hier können andere Werte gestreut werden. Man stehe nicht unter dem Stress, nur Gewinn oder Mehrwert zu produzieren, sondern es gehe um die Menschen, sagt Felipe. «Wir brauchen andere Werte in unserer Gesellschaft: Solidarität ist wichtiger als Mitleid, Menschen sind wichtiger als Banken».
Zum anderen wolle Radio LoRa eine Plattform für Themen und Menschen schaffen, die anderswo keinen Platz finden. Ein Grossteil der Schweizer Medien würden nur eine Seite der Realität zeigen, findet Felipe. Die objektive Seite eben. Er hält nicht viel von Objektivität. Und von Geld auch nicht. Rhetorisch fragt er: «Der Schweiz geht es gut in Bezug auf das Geld – aber ist diese Gesellschaft deshalb gesund?»
Klare Spielregeln
Die SendungsmacherInnen haben bei Radio LoRa Narrenfreiheit – solange ihr Programm von der Sendekommission angenommen wurde und sie sich an die Hausordnung halten. Diese verbietet etwa Sexismus, Werbung oder Rassismus. Wer gegen diese Ordnung verstösst, erhält entweder ein temporäres oder in schweren Fällen ein definitives Sendeverbot.
Damit die Kommission eine Sendung bewilligt, verlangen sie ein Konzept und eine Demoaufnahme. Ein neuer Vorschlag wurde kürzlich behandelt, erzählt Felipe. Zwei Studenten von der Uni Zürich möchten eine Sendung mit politischer Satire machen.
Die Konzepte und Sendungen von LoRa sind so individuell wie ihre ModeratorInnen. Für etwas kämpfen sie aber allesamt: Die Identität von LoRa. Sei es mit dem starken Frauenprogramm, der Sprachenvielfalt oder dass sie Ungehörten Gehör verschaffen. Jetzt stehen sie jedoch einer neuen Aufgabe gegenüber: Andere Wege für das Radio durch den Urwald an neuen Technologien zu finden. Wer weiss, vielleicht kann man bald eine Hausbesetzung via Podcast mitverfolgen.
Radio LoRa feiert sein 35-jähriges Bestehen mit der Archivausstellung «RecBBBB Radio!» und dem Audiokunstfestival in der Zürcher Shedhalle. Die Ausstellung dauert noch bis am 6. Januar 2019.
Beitragsbild: Radio LoRa by Press