Dekmantel Selectors: Achtung Seeigel!
Seeigel warteten in der Lagune auf wunde Raver-Füsse. Vorsicht war geboten. Zu viel Vorsicht zeigte auch manch ein DJ am Selectors 2017 beim spielen.
Selector - der zurzeit vielleicht meist begehrte «Titel» in der DJ-Szene. Aber was macht einen DJ zu einem sogenannten Selector? Da scheiden sich die Geister. Ich bezeichne einen DJ als Selector, wenn er interessante und ungehörte Musik in einem ansprechenden Konzept spielt, sodass auch vermeintlich nicht-funktionale Stücke mich als Tänzer mitreissen. Eine offene Einstellung zur Musik, ein gutes Ohr für den Dancefloor und ein Gespür, Musik so zu verpacken, dass die Crowd einem zuhören will. Im Endeffekt sollte aber jeder DJ das spielen, was er den Leuten zeigen will und nicht das, was sie bereits den ganzen Tag auf Spotify hören. - Sollte.
Das Label Dekmantel hat unbestritten einen festen Platz in den Reihen meiner beliebtesten Labels eingenommen. Ob mit den vielen Partys, ihren Festivals in Amsterdam, Kroatien oder Rio, ihren Releases von renommierten Künstlern, die Leute hinter Dekmantel ziehen ihr Konzept kompromisslos durch. Kompromisslos heisst: mit viel Liebe zum Detail ohne Qualitätsabstriche.
Das Selectors in Tisno, welches dem Vorbild der Selectors Stage am Dekmantel Festival in Amsterdam folgt, ist ein kleines Fest für 1'500 Musikbegeisterte mit dem Drang, ihre Lieblingsplattenleger in einer intimen Atmosphäre direkt am Meer spielen zu hören. Das Programm erstreckt sich über fünf Tage, wobei sich die DJs auf vier Bühnen verteilen. Zusätzlich legte drei Mal am Tag das Schiff für die Bootspartys direkt vom Strand ab. Dem Line-up / Timetable könnt ihr die Fülle an verschiedenen Acts erkennen.
«A good selector plays their own records, exactly the way they want to, without any trend boundaries or any other bullshit influences from the outside. I think it’s pretty hard to reach that point - it takes loads of time and work! Beyond that, the best DJs are always having fun, giving fun, being generous and honest.» - Zaltan
Der Tag beginnt jeweils an der Beach Bar, wo die DJs gemütliche Musik zum Planschen im Meer (aber Achtung Seeigel!) spielten. Bis hin zu Techno war jedoch alles möglich, so auch, dass plötzlich aus relaxter Strandstimmung ein Strandrave wurde. Mein Highlight auf dieser Stage war das spontane B2B von Jamie Tiller und Orpheu The Wizard. Die beiden Red Light Radio Residents spielten 6 Stunden und die Leute tanzten, was das Zeugs hielt. Weitere herausragende Sets, um den Vorabend auszuschlafen und in den nächsten Festivaltag zu starten, kamen von Volcov und von Tako & Izabel. Um 18 Uhr war dann allerdings Schluss am Strand und die Sets auf der Voodoo, der With A View und der Beach Main Stage begannen.
Die Voodoo Stage hat ihren Namen wegen ihres Looks und der Musik, die gespielt wurde, bekommen. Künstler wie Objekt, Lena Willikens, Cinnaman, Robert Bergmann und Interstellar Funk lieferten Sets der Extraklasse. Auf dieser Bühne hörte man vor allem industrielle Sounds, New Wave, Garage und harten Techno. Ein gewisser Artist, der alle diese Genres für mich perfekt abgedeckt hat, war der Golden Pudel Resident Phuong-Dan aus Hamburg. Mit seinem Set erzählte Dan eine tiefe Geschichte und versetzte uns alle in Trance. Dass die Sonne während dem er spielte, hinter der Stage verschwand, untermalte das ganze mit einer Stimmung, die nicht besser zum Moment passen konnte.
Im Gegensatz zur darken Voodoo Stage (auf Licht wurde hier beinahe gänzlich verzichtet), kam auf der Beach Main eher Funkiges, wie Disco und House auf die Plattenteller. Eher, weil doch auch renommierte DJs, von denen man eigentlich dachte, man wisse, was man erwarten konnte, sehr technolastig spielten. Einigen war das vielleicht nicht ganz so lieb, es passt aber wunderbar in den Selectors-Gedanken. Dieser sagt, dass man auch mal ein Set fernab von Altbekanntem spielen darf. Hier zeigten Crate Diggers wie Zaltan aus Paris, die Bernerin Sassy J oder auch der kanadische DJ des Plattenladens Invisible City ihre ganze Klasse.
Voll eingeschlagen haben wie gewohnt die Rush Hour-Helden Antal und Hunee. Ich glaube, keiner kann einen Rotary Mixer so gezielt einsetzen wie Antal. Ich war hin und weg und musste mir gleich 1-2 Dinge abschauen. Hun Choi, wie Hunee bürgerlich heisst, überzeugte vor allem durch seine kompromisslose Selektion. Es ist wirklich beeindruckend, wie es der Wahlberliner in nur drei Stunden von 80 BPM auf 160 BPM und wieder zurück schaffte, ohne dabei den Faden zu verlieren. Chapeau!
Falls man nach maximal 14 Stunden Musik auf dem Festival Gelände noch die Kraft hatte, konnte man sich noch die Nacht im Openair Club Barbarellas um die Ohren schlagen. Uns fehlte dazu jeweils die Energie, doch ein Set des Düsseldorfers Vladimir Ivkovic hätte ich mir gerne angehört.
Dekmantel weiss wirklich, wie man ein beispiellos gutes Festival organisiert. Hut ab und danke für die schönen 5 Tage. Ich kann nur jedem empfehlen, sich selber ans Selectors zu begeben um sich Musikalisches eine neue Welten zu eröffnen.Nun bin ich wieder im Zürcher Einheitsbrei angekommen...
Titelbild: Selectors by Dominik André